(Überarbeitete Fassung meines Referates auf dem „Tag des Rechts“ des Heidelberger Anwaltsvereins am 9.3.2009)
I. Was verstehe ich unter innerbetrieblicher Mediation?
Ich verstehe darunter die Klärung von Konflikten innerhalb eines Arbeitsbetriebes oder einer Organisation mit Unterstützung eines unparteiischen Dritten, dem Mediator. Ich nenne das auch Klärungshilfe ( nach Christoph Thomann ), da es vor allem um die Klärung der Situation und der Beziehungen geht.
Bevor ein Mediator gerufen wird, haben die Betroffenen oder die Betriebsleitung in aller Regel schon selbst vergeblich versucht, eine Klärung herbeizuführen. Es handelt sich also meist um eine sehr verfahrene Situation.
Die Konstellationen können sehr unterschiedlich sein.
II. Was ist das Besondere bei der innerbetrieblichen Mediation?
Das möchte ich vor dem Hintergrund einer Mediation bei Trennung oder Scheidung darstellen. Diese Art von Konfliktklärung ist in Deutschland weit mehr bekannt als die Wirtschaftsmediation und die innerbetriebliche Mediation.
Der Unterschied liegt in der Perspektive.
Bei Trennung und Scheidung geht es um die Abwicklung einer sich in Auflösung befindlichen Beziehung. Ein Paar will sich trennen oder hat sich schon getrennt. Jetzt werden die vermögens-rechtlichen, unterhaltsrechtlichen und sonstigen Folgen geregelt. Die Vergangenheit soll ruhen. Das Paar hat sich getrennt und will an die alten Verletzungen nicht mehr erinnert werden. Die Parteien müssen und wollen diese nicht aufarbeiten, weil die Paarbeziehung nicht fortgesetzt wird.
Wird ein Mediator wegen innerbetrieblicher Probleme angefragt, geht es fast immer um die Zukunft bestehender Arbeitsbeziehungen. Die Frage ist dann: Wie können wir in Zukunft besser, menschlicher, produktiver zusammenarbeiten? Es geht also um den Fortbestand der Beziehung. Das kann nur positiv geklärt werden, wenn der „Schutt“ aus der Vergangenheit weggeräumt wurde.
Man kann einwenden, sobald es in der Scheidungsmediation um die gemeinsame Sorge für die Kinder gehe, müsse auch an der Beziehung der Eltern gearbeitet werden. Dennoch: In diesen Fällen ist die *Paar*beziehung beendet und jetzt geht es nur noch um neue oder bessere Regeln für die *Eltern*beziehung.
Dieser Unterschied zwischen „Abwicklung einer Beziehung“ gegenüber „Klärung einer Beziehung“ ist entscheidend. Er führt notwendiger Weise zu verschiedenen Herangehensweisen.
III. Was hat das für Konsequenzen?
Bei einer betrieblichen Mediation kann die Vergangenheit nicht einfach ruhen, auch wenn das Mediationsverfahren auf die Zukunft gerichtet ist. Unter Anleitung des Mediators muss geklärt werden, wie es zu dem jetzigen Zustand gekommen ist. Was hat dazu geführt? Welche Auslöser gibt es? Was steckt hinter den Enttäuschungen und Verletzungen? Erst wenn das herausgearbeitet ist, kann vernünftiger Weise darüber gesprochen werden, welche Änderungen erforderlich sind, damit es positiv weiter gehen kann.
In der Familien- bzw. Trennungsmediation spielt die Frage, wie es zur Trennung gekommen ist, in aller Regel keine Rolle. Allenfalls für Teilaspekte in der Beziehungsgeschichte kann es sich als erforderlich erweisen, in eine Klärung einzutreten. Nämlich dann, wenn es diese Aspekte verhindern, dass Vereinbarungen für die Zeit nach der Trennung getroffen werden.
In der betrieblichen Klärungshilfe müssen die Mediatoren und die am Konflikt Beteiligten die emotionalen Verwicklungen verstehen, um sie auflösen zu können. Eine offene Aussprache darüber ist unbedingt erforderlich. Nur dann gibt es eine Chance, dass sich die Betroffenen wieder mit Achtung und Respekt begegnen können.
Allerdings kann sich in diesem Klärungsprozess ergeben, dass eine langfristige Zusammenarbeit nicht mehr sinnvoll oder möglich ist und eine organisatorische oder räumliche Trennung eingeleitet werden muss. Das wäre z.B. der Fall, wenn die emotionalen Gräben so tief geworden sind, dass ihre Überwindung nicht mehr möglich ist. Ist dies das Ergebnis eines intensiven Klärungsprozesses kann anschließend relativ einfach über eine sozialverträgliche Trennung gesprochen werden. Diese Situation ist allerdings relativ selten.
IV. Wie läuft nun so eine Mediation ab?
Ein Beispiel:
In der Abteilung Kundenbetreuung der Fa. X-GmbH läuft einiges schief. Die Abteilung besteht aus dem Abteilungsleiter Herrn Obermann, Frau Müller und Herrn Kunze. Die Kommunikation innerhalb der Abteilung ist katastrophal. Frau Müller und Herr Kunze sprechen fast gar nicht mehr miteinander. Auch das Verhältnis zwischen dem Abteilungsleiter und Herrn Kunze ist schlecht.
Zum Eklat kommt es als Herr Kunze durch Zufall folgendes erfährt: Als in der Abteilung über die Notwendigkeit von vorübergehenden Überstunden gesprochen wurde, schrieb Frau Müller an Herrn Obermann beiläufig in einer E-Mail vom 30.11. den Satz: „Ich bin nicht sicher, ob Herr Kunze diesen Einsatz bringen will“. Herr Kunze spricht von Mobbing.
Die Betriebsleitung möchte wegen der fachlichen Fähigkeiten weder auf Herrn Kunze, noch auf Frau Müller verzichten und beauftragt einen Mediator.
Wie geht es weiter?
Eine Mediation läuft immer strukturiert ab. Diese Struktur ist in fünf Phasen eingeteilt.
Das sind:
Davor steht die Klärung im Rahmen der Auftragserteilung und danach eventuell eine Nachkontrolle.
Insoweit unterscheidet sich die betriebliche Mediation nicht von einer Scheidungsmediation.
Christoph Thomann unterscheidet in seinem Konzept der Klärungshilfe, das ich bei betrieblichen Mediationen gern anwende, folgende Phasen:
0. Auftragsklärung, 1. Anfangsphase, 2. Selbstklärung, 3. Dialogphase, 4. Erklärungen und Lösungen, 5. Abschluss, 6. Nachsorge
Diese Einteilung entspricht von 1 bis 5 der üblichen Gliederung in der klassischen Mediation, stellt aber von den Begriffen mehr darauf ab, was inhaltlich passiert. Die Auftragsklärung findet hier meist schon vor Erteilung des Mediationsauftrages statt. In der folgenden Darstellung halte ich mich zur besseren Verständlichkeit an die klassischen Begriffe.
Wie könnte die Mediation im beschriebenen Fall in etwa ablaufen?
Vorklärung
Der Mediator wird von der Betriebsleitung in etwa den oben geschilderten Sachverhalt erfahren. Er wird sich ein geeignetes Setting überlegen. Wer muss an der Mediation teilnehmen? Wo und in welchem zeitlichen Rahmen soll sie ablaufen?
Hier müssen auf jeden Fall Herr Obermann, Frau Müller und Herr Kunze teilnehmen, je nach Sachlage u. U. auch ein Vertreter der Betriebsleitung.
Bei betrieblichen Mediationen empfiehlt es sich die Sitzungen nicht über mehrere Wochen zu verteilen. Ich würde im oben beschriebenen Fall etwa einen Block von 8 bis 10 Stunden vorschlagen, der nur durch Pausen unterbrochen wird. Da es sich um eine betriebliche Veranstaltung handelt, sollte die Mediation während der Arbeitszeit stattfinden oder als solche vergütet werden.
1. Auftragsklärung
Die eigentliche Auftragsklärung erfolgt zu Beginn der Mediationssitzung etwa mit den Worten: „Was kann ich für Sie tun?“ Der Mediator klärt jetzt mit den Beteiligten welche Ziele gemeinsam erreicht werden sollen. Das kann dann in einer Eingangsvereinbarung festgehalten werden, die wie folgt aussehen könnte:
„Wir, Herr Obermann, Frau Müller und Herr Kunze wollen Festlegungen treffen, wie in Zukunft eine effektive und respektvolle Zusammenarbeit in unserer Abteilung zustande kommen kann und wie der gegenseitige Informationsfluss in unserer Abteilung sichergestellt werden kann.“
Im Rahmen der Auftragsklärung werden auch die Regeln besprochen. Dabei ist die Vertraulichkeit ein wichtiger Punkt.
2. Festlegung der Themen
Danach wird mit den Beteiligten geklärt, welche Einzelthemen besprochen werden müssen, damit das ins Auge gefasste Ziel erreicht werden kann. Das könnte dann z.B. so aussehen:
Meist werden auch persönliche oder Beziehungsthemen gefunden. So könnten für Herrn Kunze folgende persönliche Themen benannt werden: Verletztheit (durch die E-Mail von Frau M.), Unzufriedenheit mit der Arbeitssituation. Diese Themen werden später vorrangig behandelt. Denn die Beziehungsebene und die Gefühlsebene muss vor der Sachebene geklärt werden.
Damit steht der gemeinsame Fahrplan fest.
3. Von den Positionen zu den Interessen – Bedürfnissen
Im Konzept der Klärungshilfe heißt diese Phase „Dialogphase“. Dieser Teil ist der wichtigste in der Mediation.
In der Regel kommen die Konfliktparteien mit Forderungen (Positionen) in die Mediation. Herr Kunze sagt beispielsweise: „Ich kann mit Frau Müller nicht mehr zusammenarbeiten“. Der Mediator wird beharrlich nachfragen, was hinter dieser Aussage steckt. Das könnte mit der Frage eingeleitet werden: „Was ist es, das es Ihnen so sehr schwer macht, mit Frau Müller zusammenzuarbeiten?“
Mit dieser und weiteren Fragen könnte dann herauskommen: Herr Kunze glaubt, dass Frau Müller gegen ihn bei Herrn Obermann intrigiere und dass es inzwischen eine Verschwörung gegen ihn gebe, mit dem Ziel, ihn los zu werden. Er ist wütend, misstrauisch und enttäuscht. Sein Bedürfnis (oder Interesse) nach einem offenem und vertrauensvollem Umgang ist nicht erfüllt.
Wenn in dieser Phase alle Beteiligten ihre Sicht der Dinge dargestellt haben und es weiter gelingt, die dahinter liegenden Beweggründe, Wünsche, Ängste, Frustrationen, offen zu legen, könnte sich am Ende dieser Phase etwa Folgendes ergeben:
Der Kollege Kunze ist selbständiges und eigenverantwortliches Arbeiten gewohnt.
In einer anderen Abteilung unter einem früheren Vorgesetzten hatte er diesen Spielraum. Damals hatte er mit Freude und guten Ergebnissen gearbeitet. Er leidet sehr darunter, dass Herr Obermann ihm diese Möglichkeit nicht einräumt. Er kommt sich gegängelt und eingeengt vor. Das hat dazu geführt, dass sich Herr Kunze zum Teil auf Dienst nach Vorschrift zurückzieht.
Herr Obermann empfindet das als Desinteresse an der Arbeit, spricht aber nicht mit ihm darüber, sondern lässt es ihn einfach spüren, indem er Frau Müller vorzieht.
Diese empfindet es als Entlastung, dass sie nicht so viel Verantwortung tragen muss und kommt deshalb gut mit Herrn Obermann aus.
Das wiederum führt dazu, dass sich Herr Obermann bei Anweisungen, die die ganze Abteilung betreffen, meistens an Frau Müller wendet.
Am Ende ist die Situation vergiftet und Herr Kunze hat den Eindruck, er werde von Frau Müller und Herrn Obermann gemobbt. Durch die E-Mail vom 30.11. wird dieses Gefühl noch verstärkt.
Ist dieser Hintergrund einmal herausgearbeitet und unter der Regie des Mediators ausgesprochen, ist der Schritt zu Lösungen nicht mehr weit. Der Klärungshelfer gibt am Ende dieser Phase eine Deutung oder Erklärung der Situation. Sie könnte etwa so aussehen, wie oben geschildert. Die Deutung erfolgt ohne Schuldzuweisung, sondern zeigt die gegenseitige Verstrickung auf. Dadurch werden die Betroffenen entlastet. Jetzt können sie sich mit den Lösungen beschäftigen. Die Mediation kommt in die 4. Phase.
4. Lösungen finden
Hier sind Ideen gefragt. In dieser Phase wird ein Brainstorming zum Auffinden von Lösungsideen durchgeführt. Alle genannten Lösungsoptionen werden auf einem Flipchart notiert. Anschließend werden diese im Hinblick auf vorher heraus gearbeitete Interessen und Bedürfnisse bewertet und auf ihren Realitätsgehalt geprüft.
5. Vereinbarungen schließen
Ist dies geschehen, beginnt die letzte Phase, die Abschlussphase, d.h. das Festhalten der gefundenen Lösungen in einer Abschlussvereinbarung.
Es wird festgelegt, wer was, wann und wo tun wird. Die Vereinbarungen müssen so konkret wie nur irgendwie möglich sein, damit ihre Einhaltung kontrolliert werden kann.
Es kann leicht sein, dass nach einem gut verlaufenen Mediationsverfahren bei den Beteiligten eine gewisse Euphorie aufkommt. Der Klärungshelfer wird dann darauf hinweisen, dass die Umsetzung in der Praxis noch bevorsteht und dass in der Hektik des betrieblichen Alltags einiges wieder untergehen kann. Er wird die Beteiligten auch darauf aufmerksam machen, dass es Rückfälle in alte Verhaltensmuster geben kann, dass dies normal ist und den eingeschlagenen Weg nicht in Frage stellt.
In vielen Fällen empfiehlt es sich, nach einiger Zeit – je nach Ausgangslage, nach einigen Wochen oder Monaten – eine nachsorgende Sitzung mit den Beteiligten zu führen. Dann können die Schwierigkeiten, die bei der Umsetzung der vereinbarten Maßnahmen aufgetreten sind und deren Lösung besprochen werden.
_Literatur:
Christoph Thomann, Klärungshilfe 2, Konflikte im Beruf: Methoden und Modelle klärender Gespräche, 2. Aufl. 2007.
Thomann, Prior, Klärungshilfe 3, Das Praxisbuch, 2007._